Die Menschen

Im Schlafwagen nach Mailand, so schilderte es Siemens-Ingenieur Walter Reichel, seien sich AEG-Gründer Walther Rathenau und Bauingenieur Heinrich Schwieger, damals im Vorstand der Siemens & Halske AG, 1899 begegnet und hätten dort gemeinsam über ihre Ideen zur Zukunft des Bahnverkehrs fabuliert: „Ein Wort gab das andere, und die zunächst harmlose Plauderei zeitigte in immer höherem Gedankenflug schließlich doch eine Vereinbarung von weittragender Bedeutung, nämlich die, in gemeinsamer Arbeit der beiden Firmen: Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft und Siemens & Halske A.-G. eine elektrische Versuchsbahn zu bauen, die nicht weniger als 200 Kilometer in der Stunde fahren sollte, fürwahr ein herrliches Ziel für die deutsche Eisenbahntechnik.“ (aus: Die Woche, 17. Oktober 1903)

Vertreter der Studiengesellschaft vor dem Siemens-Wagen. (Foto: Siemens Historical Institute)

Insbesondere Rathenau und Schwieger sowie der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Artur Gwinner hätten das Konzept für die Studiengesellschaft erarbeitet. Die Gründung erfolgte am 10. Oktober 1899. Der Präsident des Reichseisenbahnamtes wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates bestimmt. Paul Denninghoff übernahm die Geschäftsführung der St.e.S., gemeinsam mit Geheimrat Lochner leitete er die Versuchsfahrten.

Geheimrat Lochner und Regierungsbaumeister Paul Denninghoff. (Foto: Siemens Historical Institute)

Neben der Siemens & Halske AG und der AEG gehörten diesem Konsortium mehrere Banken und Bauunternehmen an. Unterstützt wurde die Studiengesellschaft außerdem durch das Ministerium der öffentlichen Arbeiten und die Staatsbahnverwaltung, zum technischen Ausschuss der St.e.S. gehörten auch führende Militärtechniker.

Signet der Studiengesellschaft. (Repro: Lutz Birkholz)

Akteure der Studiengesellschaft sowie hochrangige Militäreisenbahner und besondere Gäste gehörten regelmäßig auch zu den Teilnehmern der Versuchsfahrten. Im Gruppenbild vom Oktober 1903 sind folgende Personen zu sehen (von links): Ingenieur Stix, Major Friedrich, Geheimrat Lochner, Oberingenieur Reichel, [Person nicht bekannt], Geheimrat Zimmermann, [Person nicht bekannt], Monteur Schulz (hinten, helle Jacke), Exzellenz Schulz, Monteur Rechholz (hinten, helle Jacke), Geheimrat von Misani, Geheimrat Prof. von Borries, [Person nicht bekannt], Regierungsbaumeister Denninghoff, Hauptmann Lindow, Oberstleutnant von Boehn, Oberingenieur Frischmuth.

Teilnehmer einer Versuchsfahrt mit dem Siemens-Wagen im Oktober 1903. (Foto: Siemens Historical Institute)

Verantwortlicher Ingenieur für den AEG-Motorwagen war Chefkonstrukteur Oskar Lasche (1868-1923). Er hatte Maschinenbau an der Technischen Hochschule Charlottenburg studiert. Nach beruflichen Stationen in Chicago und Winterthur begann er 1896 bei der AEG als Oberingenieur, leitete ab 1902 für das Unternehmen die Maschinenfabrik in der Berliner Brunnenstraße, wo er Dampfturbinen entwickelte. Zwei Jahre später wurde er Direktor der AEG-Turbinenfabrik. 1920 wurde er Vorstandsmitglied der AEG.

Siemens-Konstrukteur Walter Reichel (1867-1937). (Foto: Siemens Historical Institute)

Schon zu Lebzeiten galt der Siemens-Ingenieur Walter Reichel (1867-1937) als Legende; nicht zuletzt, weil über ihn das Gerücht im Umlauf war, er habe sich während einiger Schnellfahrtests auf und auch mal unter dem Wagen festbinden lassen. Ersteres, so heißt es in der Siemens-Schriftenreihe „Lebenswege“ (PDF), habe er persönlich bestätigt, das andere jedoch „entschieden in das Reich der Legenden“ verwiesen. Der für die Schnellfahrversuche als Projektleiter für den Siemens-Triebwagen eingesetzte Walter Reichel fing nach seinem Maschinenbau-Studium an der Technischen Hochschule in Charlottenburg als Konstrukteur für Fahrzeuge und Fahrleitungsanlagen bei Siemens & Halske an. Ab 1892 begleitete er die Einführung der ersten elektrischen Straßenbahn in Genua, baute das elektrische Straßenbahnsystem in Dresden und das mehrerer Strecken in Berlin auf. 1897 wurde er Oberingenieur und Vorsteher des Wagenbaubüros, 1902 dann stellvertretender Leiter der Abteilung für Elektrische Bahnen bei Siemens & Halske, 1903 stellvertretender Direktor der neuen Siemens-Schuckertwerke. Ab 1904 übernahm er an der Technischen Hochschule eine Professur für konstruktive Elektrotechnik. 1908 wurde er Direktor des Dynamowerks in der zu jener Zeit neu entstehenden Siemensstadt.

Reichel (links) bei einer Vorführung der Schnellbahn-Apparate im Siemens-Werk in Charlottenburg im Jahr 1900. (Foto: Siemens Historical Institute)
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